Mobility Pricing: Tageszeitabhängige Ticketpreise haben wenig Lenkungswirkung

In Deutschland oder Italien sind tageszeitabhängige Ticketpreise bereits Realität. Und auch in der Schweiz wollten die Bahnen das Mobility Pricing einführen. Doch die Lenkungswirkung ist umstritten und Pendler fühlen sich unfair behandelt. Stattdessen könnte es mit dem Freizeit-GA eine Alternative geben. Mehr dazu liest du in diesem Beitrag.

Mobility Pricing wird es in der Schweiz wohl nicht geben.

Schweizer Verkehrsverband spricht sich gegen Mobility Pricing aus

Der Verband Öffentlicher Verkehr hat sich gegen tageszeitabhängige Ticketpreise in der Schweiz ausgesprochen. Beim sogenannten Mobility Pricing hängen die Kosten für eine Fahrkarte nicht mehr nur von der Strecke oder dem gewählten Zug ab, sondern auch von der konkreten Tageszeit. Pendler zahlen dann mehr, Urlauber hingegen eher weniger.

So sind die Preise am Morgen und Abend zur Hauptverkehrszeit etwa teurer als vom späten Vormittag bis zum frühen Nachmittag. Die Idee dahinter: Wer nicht unbedingt zu einer bestimmten Uhrzeit reisen muss, wählt lieber eine günstigere Verbindung. Hierdurch sollen die Züge über den gesamten Tag gleichmäßiger ausgelastet werden.

Zunächst standen auch die Schweizer Bahnen hinter der uneingeschränkten Einführung des Mobilty Pricing. So habe ursprünglich etwa die SBB-Spitze die Pläne positiv beurteilt, um Nachfragespitzen besser auszugleichen. Inzwischen hat sich dies allerdings geändert, wie der Tagesanzeiger berichtet.

„Mobility-Pricing im umfassenden Sinn ist gestorben. Die Branche ist komplett dagegen“, zitiert die Zeitung Ueli Stückelberger vom Verband Öffentlicher Verkehr. Individuelle Preise wie im Flugverkehr werde es deshalb nicht geben. Der offene Zugang zu Bussen und Zügen soll weiterhin jederzeit gewährleistet sein. Und auch in der Bevölkerung gebe es starken Widerspruch.

Studie: Mobility Pricing hat kaum Lenkungwirkung

Hinzu kommt: Bereits 2016 hat eine Studie ergeben, dass das Mobility Pricing in der Schweiz nur eine äußerst geringe Lenkungswirkung erzeugen würde. So könnten etwa 40 Prozent der Befragten ausschließlich zur Hauptverkehrszeit pendeln. Zwar würde grundsätzlich rund die Hälfte aller Schweizer gerne später pendeln. Diese geben aber gleichzeitig an, dass dies aufgrund des Arbeitsplatzes nicht möglich sei.

70 Prozent der Befragten empfinden eine Preiserhöhung zur Hauptverkehrszeit im Rahmen des Mobility Pricing außerdem als unfair. Viele Pendler kennen darüber hinaus weder den Preis des Generalabonnements (GA) noch von Einzeltickets für die von ihnen genutzten Strecken. Eine Anpassung der Preise würde daher kaum Lenkungswirkung entfalten.

 ZRB-Kurzinfo: Fehlende Lenkungswirkung beim Mobility Pricing
  • Pendelverhalten ist stark gewohnheitsgetrieben: 75 Prozent der Arbeitspendler pendeln schon seit drei oder mehr Jahren
  • Rund 40 Prozent der Pendler zur Hauptverkehrszeit haben überhaupt keine Möglichkeit, am Morgen zu einer Nebenverkehrszeit zu pendeln
  • Pendeln zur Nebenverkehrszeit bringt für viele Hauptverkehrszeit-Pendler sehr hohe Kosten mit sich:
    • Hohe psychologische Kosten durch die Veränderung von habitualisiertem Verhalten
    • Hohe soziale Kosten durch die Verletzung der „Anwesenheitsnorm“ am Arbeitsort
    • Fehlende soziale Unterstützung mittels einer „Flexibilitätsnorm“ am Arbeitsort
  • 43 Prozent der Arbeitspendler zur Hauptverkehrszeit würden grundsätzlich gerne zur Nebenverkehrszeit später am Morgen pendeln und rund die Hälfte würde gerne exibler arbeiten; diese „individuellen Präferenzen“ werden aber durch die institutionellen Rahmenbedingungen und die psychologischen (Gewohnheiten) und „sozialen Kosten“ (soziale Normen am Arbeitsplatz) übersteuert

Die Studie kommt im Gegenteil zu dem Schluss, dass die Einführung des Mobilty Pricing sogar etliche ungewollte negative Effekte hätte. So würden viele Schweizer zum Beispiel von der Bahn auf das Auto umstiegen, weil sie sich unfair behandelt fühlten. Die Preiserhöhung selbst ist somit nicht unbedingt das eigentliche Problem, sondern eher das Gefühl, übergangen zu werden.

Freizeit-GA als Alternative zum strikten Mobilty Pricing

Die Schweizer Bahnen selbst befürworten zwar grundsätzlich tageszeitabhängige Ticketpreise. Doch lassen sich solche kaum mit einem offenen System realisieren, bei dem Fahrgäste zu jeder Uhrzeit einen beliebigen Zug nutzen können. Ein echtes Mobility Pricing schafft diesen offen Zugang nämlich praktisch ab.

Eine Alternative zum Mobility Pricing bei allen Einzelfahrkarten könnten hingegen tageszeitabhängige Pauschalangebote sein. In Deutschland bietet die Deutsche Bahn etwa das Quer-durchs-Land-Ticket und Ländertickets an, die an Werktagen erst ab neun Uhr gelten. Nach Zugreiseblog-Informationen möchte die SBB mit dem Freizeit-GA ab dem Frühjahr ein ähnliches Angebot schaffen.

Zudem soll es verstärkt Sparbillette in den Zügen geben, für die dann eine Zugbindung besteht. Hierdurch sollen Freizeitgäste und Jugendliche gezielt angesprochen werden und die Züge zu nachfrageschwachen Zeiten besser ausgelastet werden. Indes lohnen sich solche Sparbillette oftmals nur, wenn der Fahrgast kein Halbtax besitzt, was in der Schweiz allerdings sehr weit verbreitet ist.

Mobility Pricing in Deutschland: Differenzierter Flexpreis der Deutschen Bahn

In Deutschland ist das Mobility Pricing hingegen bereits Realität: Beim sogenannten differenzierten Flexpreis berechnet die Deutsche Bahn je nach Wochentag unterschiedliche Preise für dieselbe Strecke. So musst du an Tagen mit sowieso hoher Auslastung in den Zügen mehr bezahlen als an weniger ausgelasteten Reisetagen.

Obwohl auch hier die Lenkungswirkung durchaus umstritten ist, hält die Bahn am Mobility Pricing in Deutschland weiter fest und spricht von einem Lerneffekt der Kunden. Zum Fahrplanwechsel im vergangenen Jahr hat sie sogar die Preisdifferenz noch einmal angehoben. Statt rund drei Prozent kann die Differenz zwischen günstigstem und teuersten Flexpreis für die gleiche Verbindung jetzt bis zu fünf Prozent betragen.

Was hältst du vom Mobility Pricing und tageszeitabhängigen Ticketpreisen? Ich freue mich auf deinen Kommentar.

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