EU-Parlament will Fahrgastrechte bei gestückelten Tickets
Das EU-Parlament hat für eine Reform der bestehenden europäischen Fahrgastrechteverordnung gestimmt. Künftig sollen diese auch gelten, wenn mehrere Beförderungsverträge und gestückelte Tickets vorliegen. Zudem wurden höhere Entschädigungen, mehr Fahrradstellplätze in Fernverkehrszügen sowie bessere Rechte für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste beschlossen. Mehr dazu erfährst du in diesem Beitrag.
Fahrgastrechte künftig auch bei mehreren Beförderungsverträgen
Bereits vor über einem Jahr hat die Europäische Kommission einen Entwurf für eine Neugestaltung der Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr vorgelegt. Jetzt hat das Europäische Parlament diesen mitsamt einigen Änderungsanträgen in erster Lesung verabschiedet. Damit könnten die neuen Fahrgastrechte ab 2020 in Kraft treten, sofern auch der Ministerrat der geänderten Fassung zustimmt.
Eine der wichtigsten Änderungen betrifft gestückelte Tickets. Bisher war es so, dass die Regeln der europäischen Fahrgastrechteverordnung nicht galten, wenn für eine Reise mehrere Fahrkarten aneinandergereiht wurden. Die Eisenbahnen nahmen in diesem Fall nämlich regelmäßig an, dass mehrere Beförderungsverträge vorliegen und jeder davon unabhängig zu beurteilen ist.
Gerade bei Auslandsreisen kommt es deshalb immer wieder zu Problemen. Buchst du etwa eine Zugreise nach Italien und kombinierst ein Ticket der Deutschen Bahn mit einem Ticket des Anbieters Italo, hast du grundsätzlich keinen Anspruch auf Entschädigung oder kostenlose Weiterfahrt, wenn du aufgrund einer Verspätung den Zug von Italo nicht mehr erreichst. Nach Ansicht der Eisenbahnen ist das selbst dann der Fall, wenn du beide Tickets in einem Buchungsprozess bei einem Verkäufer gekauft hast.
Dass dies zur Verunsicherung der Fahrgäste und mitunter zu einem Verzicht auf die Bahn als Verkehrsmittel im grenzüberschreitenden Verkehr führen kann, haben auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments erkannt. Sie stimmten deshalb mit breiter Mehrheit für eine Änderung des bisherigen Kommissionsentwurfs und nahmen gestückelte Fahrkarten und mehrere Beförderungsverträge in die neue Fahrgastrechteverordnung auf. Auf die Kulanz der Eisenbahnen wie etwa im Agreement on Journey Continuation (AJC) oder der Vereinbarung zu Nightjet-Nachtzügen kommt es somit nicht mehr an.
Alle Fahrgastrechte bei getrennten Tickets und kombinierten Fahrten
Art. 10 Abs. 6 der vom EU-Parlament verabschiedeten Fahrgastrechteverordnung sieht dabei vor, dass der Fahrgast auch bei getrennten Tickets für eine einzige Fahrt oder bei einer sogenannten kombinierten Fahrt mit mehreren Beförderungsverträgen „von der Abfahrt bis zum Zielort die gleichen Ansprüche auf Information, Hilfeleistung, Betreuung und Entschädigung wie bei einer Durchgangsfahrkarte“ hat.
Besonders wichtig ist hierbei aber nicht unbedingt das Recht auf Entschädigung, sondern das Recht auf Fortsetzung der Fahrt mit geänderter Streckenführung. Bisher musstest du nämlich oftmals ein neues Ticket kaufen, wenn du mehrere Fahrkarten unterschiedlicher Anbieter für deine Bahnreise kombiniert und einen der Züge wegen einer Verspätung verpasst hast. Im schlimmsten Fall kostete dies mehrere hundert Euro.
Künftig könntest du ohne Aufpreis den nächsten Zug nehmen, wie nunmehr in Art. 16 Abs. 1 lit. b der Verordnung geregelt werden soll. Dabei umfasst die Definition des verpassten Anschlusses ausdrücklich auch mehrere Beförderungsverträge und kombinierte Fahrten. Zudem muss es sich bei diesem Zug nicht unbedingt um einen des ursprünglich gebuchten Eisenbahnunternehmens handeln. Vielmehr besteht bei einem verpassten Anschluss freie Zugwahl.
Höhere Entschädigung – auch weiterhin bei höherer Gewalt
Viele Fahrgäste dürfen sich nach der im EU-Parlament verabschiedeten Fassung der Verordnung auf höhere Entschädigungen bei Verspätungen freuen. So wollen die Abgeordneten, dass bei einer Verspätung von 60 bis 90 Minuten künftig 50 Prozent des Fahrpreises erstattet werden. Für Verspätungen zwischen 91 und 120 Minuten soll es außerdem 75 Prozent und ab 121 Minuten sogar den gesamten gezahlten Fahrpreis zurück geben.
Bisher werden dir ab einer Verspätung von 60 Minuten hingegen lediglich 25 Prozent und ab 120 Minuten 50 Prozent des Fahrpreises erstattet. Gleichzeitig stellt das EU-Parlament klar, dass mit Geltendmachung der Entschädigung das Recht auf Beförderung weiter gilt. Im ursprünglichen Kommissionsentwurf wurde dies noch anders geregelt. Für die Berechnung der Verspätung ist künftig ausdrücklich das Öffnen der Türen am Zielbahnhof entscheidend.
ZRB-Überblick: Entschädigung bei Fahrgastrechten | ||
Verspätung | bisher | Vorschlag des EU-Parlaments |
bis 59 Minuten | 0 Prozent | 0 Prozent |
60 bis 90 Minuten | 25 Prozent | 50 Prozent |
91 bis 120 Minuten | 25 Prozent | 75 Prozent |
ab 121 Minuten | 50 Prozent | 100 Prozent |
Die Entschädigung muss ebenfalls geleistet werden, wenn der Fahrgast für eine Fahrt mehrere aneinandergereihte Beförderungsverträge und gestückelte Tickets nutzt. Entscheidend für die Berechnung der Entschädigungssumme ist dabei das Verhältnis zu dem vollen Preis, den der Fahrgast für den ausgefallenen oder verspäteten Verkehrsdienst tatsächlich entrichtet hat.
Die Abgeordneten lehnten außerdem den Ausschluss einer Entschädigungszahlung bei höherer Gewalt ab, wie es nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch in der derzeit gültigen Fassung der Fahrgastrechteverordnung bereits der Fall ist. Die Kommission wollte hingegen, dass die Eisenbahnen bei Naturkatastrophen und Unwettern keine Entschädigung mehr leisten müssen. Der Verkehrsausschuss empfahl sogar, dies auf alle „außerordentlichen Umstände“ auszuweiten. Beides hätte zu einer großen Rechtsunsicherheit für Fahrgäste geführt.
Bessere Fahrradmitnahme im Zug und mehr Rechte für Menschen mit Behinderung
Weiterhin gibt es gute Nachrichten für alle Fahrradfahrer: Künftig soll es nämlich auch in allen Fernverkehrszügen und grenzüberschreitenden Zügen eine ausreichende Anzahl an Fahrradstellplätzen geben. Dies gilt allerdings nur für neu beschaffte Züge oder solche, die modernisiert werden. Die Regelung gilt ab zwei Jahre nach Inkrafttretens der Verordnung.
Darüber hinaus stärkt das Europäische Parlament die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Fällt etwa ein Zug aus und ist deshalb eine Fahrt im Taxi oder eine Übernachtung im Hotel notwendig, muss das Eisenbahnunternehmen dafür sorgen, dass es sich um eine barrierefreie Unterkunft oder ein barrierefreies Fahrzeug handelt. Zudem werden die Mindestzeiten für die Beantragung des Mobilitätsservices verkürzt.
Die Hilfeleistung am Bahnhof muss nach dem Willen des EU-Parlaments zu allen Betriebszeiten der Eisenbahnverkehrsdienste angeboten werden, wobei eine entsprechende Beantragung mindestens 12 Stunden vorher erfolgen muss. Bei Bahnhöfen mit mindestens 2000 Fahrgästen pro Tag wird die Beantragungsfrist auf höchstens drei Stunden verringert und bei Bahnhöfen ab 10000 Fahrgästen am Tag wird die Frist ganz abgeschafft. Dort musst du dich dann lediglich mindestens 30 Minuten vor Abfahrt des Zuges einfinden.
Schließlich soll auch die Geltendmachung der Fahrgastrechte einfacher werden. Diese geschieht künftig über ein Standardformular, das die Europäische Kommission für ganz Europa entwirft. Dass dieses auch zwingend online eingereicht werden kann, findet sich in der verabschiedeten Fassung der neuen Fahrgastrechteverordnung hingegen leider nicht. Hier sollte die Europäische Union mehr auf die Digitalisierung setzen, die für alle Fahrgäste eine deutliche Erleichterung bringt.
Was hältst du von den geplanten neuen Fahrgastrechten? Ich freue mich auf deinen Kommentar.
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Ich bin mal gespannt, wie dann künftig bei Zeitkarten oder BC100 entschädigt wird. Hier wäre auch mal eine Anpassung der 10/15€-Pauschale gerechtfertigt (und eigentlich auch mal eine Anhebung der Kappungsgrenze, 25% des BC-Wertes sind – so man häufig Verspätungs-anfällige Verbindungen nutzen muss – ja auch eigentlich ein Witz).
Hoffen wir, dass das mal ein Ansporn ist, die Pünktlichkeit (deutlich) zu erhöhen.
Es wird im Bezug auf Zeitkarten nur von einer „angemessenen Entschädigung“ gesprochen, genaue Prozentzahlen oder ähnliches gibt es also nicht. Allerdings findet sich darin jetzt eine Klausel, wonach der Zeitkarteninhaber künftig nachweisen muss, dass er mit dem verspäteten Zug auch tatsächlich gefahren ist.
Warum keine Entschädigung, die über den Ticketpreis hinaus geht? Bei 3 Stunden Verspätung im Flugverkehr bekomme ich auch 250€-
Die Fluggastrechte sind deutlich restriktiver als die Fahrgastrechte. Ich würde da nicht tauschen wollen. Es hat schon einen Grund, weshalb sich auf dem Fluggastrechtemarkt zahlreiche „Rechteeintreiber“ tummeln, während die Geltendmachung von Fahrgastrechten in Deutschland im Regelfall absolut unproblematisch abläuft.
Ein Einreichen des Formulars online wäre wirklich mal ein richtig sinnvoller Schritt gewesen, grundsätzlich aber eine meiner Meinung nach positive Verbesserung der Fahrgastrechte. Vor allem im Falle der gestückelten Tickets.. Letztens bin ich für 30€ weniger nach Südtirol und zurück gekommen, nur weil ich innerhalb Deutschlands den Sparpreis Aktion gebucht habe und danach die Fahrt nach Italien einzeln. Umso besser, dass man dann nicht mehr Zittern muss, ob die Verbindung klappt.
Hallo David!
Danke für die umfassende Info, wesentlich mehr als ich bisher aus Zeitungen in Erfahrung bringen konnte.
Würden die neuen Bestimmungen, sofern sie je in Kraft treten, auch bei Reisen im intermodalen Verkehr greifen, also bei Benützung von Bahn und Bussen, international und national, insbesondere auch in Verkehrsverbünden?
Für die EU-Gesetzgebung sollte es zwar keinen Unterschied zwischen nationalen und internationalen Reisen geben, sie lässt aber immer wieder nationalen Spielraum (auch nach unten) zu. Und die hauptsächlich in Mitteleuropa existierenden Verkehrsverbünde waren für die EU bisher ein weißer Fleck.
Hallo,
zum intermodalen Verkehr wurde darin wohl nichts geregelt. Es gibt zwar eine Regelung, die die Eisenbahnen verplichten soll, Durchgangsfahrkarten und grenzüberschreitende Tickets anzubieten, aber das bezieht sich nur auf reine Eisenbahnleistungen.
Die Zeitkartenregelung (siehe im Kommentar weiter oben) gilt ebenfalls nur für den Bahnverkehr.
Die Verbünde sind insoweit betroffen, als das EU-Parlament die Möglichkeit eröffnen will, dass im Stadtverkehr die Fahrgastrechte nicht gelten müssen. Die Kommission hat da übrigens an eine deutlich weitreichendere Regelung gedacht:
„Schienenpersonenverkehrsdienste des Stadtverkehrs, Vorortverkehrs oder Regionalverkehrs unterscheiden sich ihrer Art nach von Fernverkehrsdiensten. Die Mitgliedstaaten sollten daher die Möglichkeit haben, Schienenpersonenverkehrsdienste des Stadtverkehrs, Vorortverkehrs oder Regionalverkehrs, die keine grenzüberschreitenden Dienste innerhalb der Union sind, von bestimmten Vorschriften über Fahrgastrechte auszunehmen.“
Viele Grüße
David
Wer soll bei gestückelten Tickets dann die Entschädigung zahlen?
Ich bin auch mal gespannt, in wie weit sich ein sonst pünktlicher Anbieter das Geschäft mit zeitgebundenen Tickets versauen lässt, weil ein unliebsamer Mitbewerber Anschlussreisende konstant zu spät am Bahnhof absetzt. Ist bestimmt toll, wenn man für sein eigenes Unternehmen dann die Zugbindung aufheben muss, obwohl man selbst dafür gar nichts kann. Zubringer-Anbieter, die z.B. im Nahverkehr agieren, könnten dann fein raus sein, während das günstige ICE-Sparpreis-Anschlussticket ruckzuck zum Flex-Ticket wird (nicht dass die DB pünktlich wäre, mir geht’s erst mal ums Prinzip).
Wie wird bei Stückelungen eigentlich die Umstiegszeit bewertet? Fällt das flach? Wenn mein Zug normal von gegenüber fährt und ich auf eine Minute genau buche, weil das locker reicht, der Zug dann aber an einem weit entfernten Gleis abweichend einfährt, wer ist dann schuld? Bei durchgehenden Fahrten wird der Fußweg mitberechnet plus Puffer, damit die Unternehmen sich keine Probleme einheimsen – und wenn der Fußweg sich verlängert, dann gelten die entsprechenden Zeiten, die das Unternehmen selbst festlegt. Muss man die dann selbst ermitteln?
Auch frage ich mich, in wie weit man mit Spätbuchertricks sein Sparpreis-Ticket dann zwangsumwandeln kann. Wenn man schon weiß, dass ein Zug den Bahnhof nicht mehr erreicht, reicht ja schon das Vorhandensein dieses Tickets, z.B. via Online-Kauf. Wer prüft denn, ob man wirklich in dem Zug saß? Wenn dann müsste die Bahn dann einführen, dass man für Fahrgastrechte zwingend die Bestätigung vom Zugführer braucht. Der Zug darf halt bei Kauf noch nicht an der letzten Haltestelle, von der er der laut Fahrplan ein sinnvolle Zubringer war, abgefahren oder zwischenzeitlich ersetzt worden sein, aber mittels Verspätungsfinder sollte es nicht schwer sein, irgendeinen zu spät ankommenden Zug zu ermitteln. Dann ist der spontane Kauf eines zusätzlichen NV-Tickets oder kurzen Fernverkehrsticket sicherlich günstiger als ein neues Flexticket zu kaufen, weil man doch 2 Stunden später fahren will. Gewisser Aufwand, aber bewerkstelligbar. Vor der Stückelungsregel ging das nicht – da musste man sich ja im voraus festlegen, von wo man kommt.
Bis 59 Minuten: 0% LOOOL
Lobby-Arbeit macht sich wieder einmal voll bezahlt.
@Basti: Wer hat so viel Zeit so einen Roman zu lesen?
Die Reiseauskunft der DB zeigt mir eine Verdindung nach Frankfurt an, eine Kombination aus RE und Flixzug (nur kann diese Kombination nicht über die Reiseauskunft als ein Ticket gebucht werden, das Anschlussticket der DB, das dort gebucht werden kann, kostet mehr als ein normales Flexpreisticket auf der Relation). Wenn jetzt der RE Verspätung hat und ich den Flixzug nicht erreiche, kann ich dann jeden DB Zug nehmen, oder nur den nächsten Flixzug 7, 17, 24 oder sogar 31 Stunden später? Zahlt in dem Fall die Bahn dann die Übernachtung?
Hier in Baden-Württemberg fallen auf meiner Strecke gefühlt täglich Züge aus, wegen technischen Defekten (u. A. alte Silberlinge), Personalmangel oder Verspätung aus vorheriger Fahrt. Letztens habe ich glücklicherweise spät abends noch in die App geschaut und gesehen, dass mein IC früh morgens entfällt und ich einen früheren RE nehmen soll. Eine Email Benachrichtigung wäre gut gewesen, Flix ist da aber keinen deut besser, der Anschlussbus am nächsten Tag wurde am Fernbusbahnhof in München sogar am Bussteig noch angezeigt, obwohl er ausfällt und der Warteraum noch nicht offen.
Hallo Frank, bei der aktuellen Regelung könntest du nur den nächsten Flixtrain nehmen.
Wie ist hier der aktuelle Stand? Wenn ich ein Fernverkehrsticket habe mit Zugbindung (mytrain) und deswegen den Nahverkehrszubringer extra buchen muss, wird die Bahn mich in einem anderen ICE mitnehmen, falls der NV verspätet ist?
Es gilt wenn ich es richtig sehe seit 2021 die Neufassung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32021R0782 Der Punkt ist jetzt in Artikel 12 geregelt, allerdings anders als in der in diesem Bericht beschriebenen Parlamentszwischenfassungvon 2018.
Unklar bleibt es m.E. aber, ob es auch bei gestückelten Fahrkarten ein Recht auf Weiterreise in einem anderen Zug gibt oder nur das Recht auf Entschädigung.